27.27 Abgrenzung Exchange öffentliche Ordner zu SharePoint (Gastbeitrag von Ulrich B. Boddenberg)
 
Mein Name ist Ulrich B. Boddenberg. Ich bin der Autor der Bücher »SharePoint Portal Server 2003 & Windows SharePoint Services«, »Exchange Server 2003 & Live Communications Server 2005« sowie »Microsoft Netzwerke – Konzepte & Lösungen«, alle erschienen bei Galileo Computing.
Auf der Buch-DVD finden Sie Probekapitel dieser Bücher. Außerdem arbeite ich an einem Buch über »Windows Mobile«, das bei Microsoft Press erscheinen wird.
Die öffentlichen Ordner des Exchange Systems eignen sich zur Bereitstellung von unterschiedlichen Informationen für ganze Arbeitsgruppen, also Gruppenterminkalender, Gruppenkontakte, Gruppenmailpostfächer und vieles andere mehr. Grundsätzlich könnte man mit der Unterstützung der öffentlichen Ordner ein durchaus komplexes Informationsmanagement aufbauen, das auch vor Workflow-Szenarien nicht Halt macht.
Bevor Sie sich nun mit Begeisterung auf die öffentlichen Ordner stürzen, muss ich Sie darauf hinweisen, dass bei Microsoft zwar nicht zur Debatte steht, die Öffentlichen Ordner kurz- oder mittelfristig komplett zu Grabe zu tragen, sie stehen aber keinesfalls mehr im Mittelpunkt von Microsofts Collaboration-Strategie. Anders gesagt brauchen Sie bestehende auf öffentlichen Ordnern basierende Verfahren und Prozesse nicht hektisch zu ersetzen. Wenn Sie allerdings in der Planung für ein neues großes Integrations- oder Softwareentwicklungsprojekt sind, ist es sicherlich langfristig besser, auf SharePoint anstatt auf Öffentliche Ordner zu setzen.
Der Themenkomplex »Collaboration« teilt sich bei Microsoft in drei Produkte:
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Exchange: »Klassisches« Mail und Messaging |
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SharePoint: Zusammenarbeit in Teams oder im Unternehmen, umfasst beispielsweise den Umgang mit Dokumenten und mit Listen aller Art (Termine, Kontakte, Aufgaben sind im Endeffekt auch Listen), die strukturierte Bereitstellung von Informationen, den Zugriff auf »externe« Daten und vieles andere mehr. |
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Live Communications Server: Dies ist ein Instant Messaging System. |
Die Produkte werden auf die jeweiligen Kernkompetenzen zurückgeführt, dabei ist das Informationsmanagement ein SharePoint-Thema geworden und geht, im Gegensatz zu Zeiten von Exchange 2000, nicht mehr in Richtung der Exchange öffentlichen Ordner.
SharePoint ist in zwei Varianten erhältlich:
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Windows SharePoint Services 2.0. Dieses Produkt ist als kostenlose Erweiterung zum Windows Server 2003 erhältlich und dient vor allem der Optimierung der Zusammenarbeit von Teams. In Windows Server 2003 R2 gehören die SharePoint Services bereits zum Grundlieferumfang. |
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SharePoint Portal Server 2003: Hierbei handelt es sich um einen kostenpflichtigen Server, der auf den zuvor genannten SharePoint Services aufsetzt und diese um Features für die unternehmensweite Zusammenarbeit erweitert. |
Richtig ist, dass es zwischen SharePoint und öffentlichen Ordnern Überschneidungen gibt. Beide Ansätze dienen zunächst der Informationsbereitstellung für Teams, gehen aber deutlich unterschiedliche Wege. Insgesamt bietet das Thema »SharePoint versus Öffentliche Ordner« mindestens so viel Diskussionspotential für viele hitzige Stammtischrunden, Podiumsdiskussionen und Leserbriefe wie die Frage, ob Linux oder Windows das »bessere« Serversystem ist, ob der Mac einfacher zu bedienen ist als Windows XP oder (speziell für die heute 35- bis 40-Jährigen) ob der Atari oder der Amiga der »coolere Computer« war.
Fakt ist, dass in der Microsoft-Collaboration-Strategie die primäre Plattform für die Zusammenarbeit jenseits von Mail und Messaging SharePoint ist.
Wenn Sie auf der Begleit-DVD im Verzeichnis SharePoint\SharePoint – Boddenberg – Galileo Computing das SharePoint-Dokument gelesen haben, werden Sie mir sicherlich zustimmen, dass SharePoint dramatisch mehr Möglichkeiten als die öffentlichen Ordner von Exchange Server bietet.
SharePoint verfolgt einen wesentlich ganzheitlicheren Ansatz als die öffentlichen Ordner. Während öffentliche Ordner recht punktuelle Anforderungen bedienen, nämlich eine Aufgabenliste oder einen Gruppenkalender für ein Team bereitzustellen, ist die Idee hinter SharePoint, eine »integrierte Arbeitsumgebung« für einen Anwender zu realisieren, in der dieser gemeinsam mit seinen Kollegen an Dokumenten arbeitet, Listen (z.B. Kontaktliste, Terminliste, Aufgabenliste etc.) aller Art erzeugt und füllt und auch »externe« Informationen (z.B. aus dem zentralen ERP-System) in seiner Arbeitsumgebung bereitstellt.
In öffentlichen Ordnern lassen sich teamübergreifend Kontakte, Termine, Aufgaben etc. verwalten – dies ist erfahrungsgemäß die Hauptanwendung für öffentliche Ordner. Diese Art von Informationen werden in SharePoint als Listen dargestellt, und in der Tat stellt man beispielsweise eine Sammlung von Kontakten gemeinhin als Liste dar, eben die Kontaktliste. Generell ermöglicht SharePoint eine sehr flexible Listenverwaltung. Ansonsten sind wesentliche Vorteile von SharePoint gegenüber öffentlichen Ordnern:
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Dokumentverwaltung: nahtlose Integration in Office, Ein- und Auschecken von Dokumenten, Versionierung |
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Leistungsfähiges Webinterface zum Zugriff auf die Daten (das Webinterface zum Zugriff auf öffentliche Ordner ist vergleichsweise eher »dürftig«). |
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Benachrichtigung bei Änderung des Inhalts von Listen oder Dokumentbibliotheken |
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Einbindung von externen Daten, beispielsweise aus dem ERP-System |
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Ablage sämtlicher Daten auf dem SQL-Server |
Einige spezielle zusätzliche Vorteile des SharePoint Portal Servers sind:
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Unternehmensweite Informationsbereitstellung (Portal/Intranet) |
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Sehr leistungsfähiger Such- und Indexdienst |
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Single Sign On-Dienst zum Zugriff auf externe Informationen |
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Zielgruppengerichtete Inhalte |
Ein wesentlicher Vorteil der öffentlichen Ordner ist die Möglichkeit der Replikation, diese ist in der aktuellen SharePoint-Version (Windows SharePoint Services 2.0 bzw. SharePoint Portal Server 2003) nicht vorhanden. SharePoint ist als reines Online-System konzipiert, das von einem zentralen Server oder einer Serverfarm aus die Clients versorgt. In einer Zeit, in der die WAN-Bandbreiten genauso steigen, wie sich die Kosten reduzieren, ist der Ansatz, ohne Replikate auszukommen, einerseits sicher zu begrüßen. Andererseits wird man in der Praxis hinreichend viele Fälle finden, in denen replizierte Daten eben doch notwendig sind.
Die schon im Grundlieferumfang deutlich umfangreichere Funktionalität und die wesentlich flexibleren Erweiterungsmöglichkeiten sprechen deutlich für SharePoint. Die drei in der Praxis am häufigsten genannten Hinderungsgründe, direkt von öffentlichen Ordnern zu SharePoint zu migrieren, sind:
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Produktüberblick: Die Möglichkeiten von SharePoint sind den meisten IT-Verantwortlichen, Administratoren und erst recht Anwendern (noch) weitgehend unbekannt – zumindest in Deutschland. |
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Viele Anwendungsszenarien basieren mehr oder weniger stark auf Replikation. Ob dies vor dem Hintergrund der veränderten Ausgangslage (fast überall kann man mehr oder weniger breitbandig Daten übertragen) überhaupt noch die beste Lösung ist, muss natürlich im Einzelfall geprüft werden. Fakt ist, dass die Replikation von SharePoint-Daten heute (Sommer 2006) nur mit Zusatzprodukten möglich ist. |
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Microsoft stellt momentan kein Werkzeug zur Verfügung, mit dem man einfach von öffentlichen Ordnern zu SharePoint migrieren könnte. |
Die Kernaussage eines Dokuments, das von Microsoft unter http://www.microsoft.com/technet/prodtechnol/exchange/2003/pubfolders_faq.mspx bereitgestellt wird, ist: Die öffentlichen Ordner werden zwar nicht kurzfristig aus dem Produkt genommen. Wenn Sie heute beginnen, eine Lösung zu entwerfen, sollten Sie aber auf SharePoint und nicht auf öffentliche Ordner setzen.
Bevor es Missverständnisse gibt: Der Exchange Server an sich wird von SharePoint natürlich keinesfalls in Frage gestellt. SharePoint bedient nicht die klassischen Mail- und Messaging-Funktionen – und wird dies auch niemals tun.
Man kann es natürlich auch etwas anders formulieren: Exchange besinnt sich auf seine Kernkompetenzen. Alles, was nicht direkt mit Mail und Messaging zu tun hat, nämlich die Arbeit mit Dokumenten und Listen, die Integration von externen Daten und vieles andere mehr, wird in SharePoint ausgelagert. Diese Besinnung auf die Kernkompetenzen gibt es bei Exchange übrigens auch in einigen anderen Bereichen:
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Mit Exchange 2000 wurde ein Instant Messaging Dienst eingeführt. Dieser ist mit Version 2003 wieder aus Exchange herausgenommen und in ein eigenständiges Produkt, den Live Communications Server, überführt worden. |
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Die Verwaltung von Schlüsseln (zum Verschlüsseln und Signieren) ist eine Funktion des Betriebssystems geworden; Exchange 2000 hatte noch ein eigenes Key Management System. |
Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Um den mobilen Zugriff auf Mails zu verbessern (Kernkompetenz!), wurde die Funktion des bis dato eigenständigen Mobile Information Server in Exchange überführt. Der »drahtlose« Zugriff auf Exchange ist somit ohne Zusatzprodukte möglich.
Sie sehen, dass mittelfristig die Überführung von Collaboration-Funktionen aus Exchange konsequent ist. Fairerweise werden auch Verfechter der Exchange öffentlichen Ordner zugeben müssen, dass es viele Anwendungsfälle gibt, bei denen diese sich eben doch nicht als optimal herausgestellt haben.
An dieser Stelle möchte ich Sie auf zwei Möglichkeiten der weiteren Beschäftigung mit SharePoint hinweisen:
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Das entsprechende Kapitel findet sich übrigens als Leseprobe im Verzeichnis Projektierung\Microsoft Netzwerke – Konzepte und Lösungen – Boddenberg der Begleit-DVD dieses Buchs. |
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Wenn Sie noch tiefer in SharePoint einsteigen möchten, wird Sie mein ebenfalls bei Galileo Press erschienens SharePoint-Buch interessieren (https://www.galileo-press.de/936). |
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