3 Retusche
Nun kommen wir zum »Handwerk« in Photoshop. In keinem anderen Anwendungsbereich des Programms sind mehr Handarbeit und gefühlvoller Umgang mit den Werkzeugen gefragt als bei der Retusche. Hier sind auch die Metaphern für die Werkzeuge am anschaulichsten: Es wird buchstäblich mit Pinseln gemalt.
Die Grenzen zu anderen Bereichen sind (wie immer bei Photoshop) fließend. Die Arbeit des Retuschierens ist nicht zu trennen von Masken (siehe Seite 226), seien es Pixel- oder Vektormasken. Bei der Retusche werden gezielt Fehlstellen oder Unzulänglichkeiten beseitigt. Es geht weniger um flächendeckend auftretende Fehler wie Rauschen, Unschärfe oder optische Verzerrungen, die im Vorkapitel besprochen wurden (siehe ab Seite 44).
Viele Werkzeuge und Verfahren der Retusche dienen nicht nur der Beseitigung von Fehlern im Bild. Oft ist Retusche auch ein kreativer Prozess, bei dem Bildteile aus inhaltlichen Gründen entfernt, hinzugefügt oder ergänzt werden. Die Grenzen zur Montage oder zum Screendesign sind fließend.
3.1 Pinsel-Werkzeuge 

3.1.1 Allgemeines zu Pinseln 

Mit Pinsel ist im Folgenden nicht nur das normale Pinsel-Werkzeug gemeint, das für das Auftragen von Farbe gedacht ist. Auch Werkzeuge (Abbildung 3.1), die andere Aufgaben haben, verhalten sich in der Handhabung wie ein Pinsel.
Abbildung 3.1 Photoshops wichtigste Pinsel-Werkzeuge
Sie alle haben einen vergleichbaren Balken mit den Optionen (Abbildung 3.2) sowie eine ähnliche Pinsel-Palette unter Fenster · Pinsel.
In den Optionen lassen sich bei vielen Werkzeugen vorgegebene oder eigene Werkzeugeinstellungen und Pinselvorgaben auswählen und die wichtigsten Parameter direkt einstellen, z. B. der Modus des Auftrags oder die Arbeitsweise , die Deckkraft und der Fluss . Den Aibrush-Modus aktiviert man ganz rechts , um diese Art des Farbauftrags zu simulieren. Durch Klicken auf die Pinselvorgaben öffnet sich das Flyout-Menü, in dem der Hauptdurchmesser und die Kantenschärfe als die beiden wichtigsten Kenngrößen einer Werkzeugspitze direkt eingestellt werden können. Im unteren Teil können Werkzeugspitzen aus Vorgaben ausgewählt werden.
Abbildung 3.2 Pinsel-Werkzeug-Optionen mit Flyout-Menü
Wirklich interessant wirds aber erst in der Pinsel-Palette (Abbildung 3.3). Hier werden die einzelnen Parameter im linken Teil aufgelistet und lassen sich dort aktivieren. Für manche Werkzeuge sind Teile davon nicht verfügbar und dann ausgegraut. Im rechten Teil befindet sich die Auswahl der Werkzeugspitzen und/oder die Einstellungen für den jeweiligen Parameter. Unten wird permanent eine Vorschau für den Pinsel geboten.
Je nach Bedarf lassen sich einzelne Features für einen Pinsel ein- oder ausschalten; die wichtigsten hier in Kürze:
- Die Formeigenschaften umfassen Durchmesser, Form und Weichheit (Kantenschärfe) des Pinsels. Oben wird seine Grundform gezeigt, eine kleine Pixeldatei, die auch mit eigenen Formen versehen kann. Der Malabstand bestimmt die »Dichte« des Strichs.
- Die Streuung »zerreißt« das Pinselmuster quer und längs zum Strich. Sie sorgt für chaotische »ausgefranste« Striche.
- Mit Struktur lassen sich alle Muster, die Photoshop unter Bearbeiten · Vorgaben-Manager · Muster vorrätig hält, als Pinselspitze verwenden.
- Dualer Pinsel gestattet das stufenlose Überblenden der ursprünglichen Spitze mit einem zweiten Muster.
- Bei den Farbeinstellungen lässt sich die Vordergrundfarbe mit der Hintergrundfarbe mischen.
- Störung sorgt für Rauigkeit im Strich, wie wenn man beim Malen zu trockene Farbe verwenden würde. Dieser Parameter kann, wie alle weiteren unterhalb der Trennlinie, nur ein- oder ausgeschaltet, aber nicht eingestellt werden.
- Der Parameter Nasse Kanten lässt den Strich zum Rand hin dunkler und in der Mitte blasser werden: Es entsteht ein Aquarell-ähnlicher Effekt.
Abbildung 3.3 Pinsel-Palette mit Beispielen für die Auswirkungen ihrer Parameter am Strich
Ein elektronischer Pinselstrich ist abgesehen von der Mausbewegung, die ihn ausführt, im Grunde nur Mathematik und kann ganz schön langweilig aussehen. Neben der Vielzahl an steuerbaren Werten kann man eine ganze Reihe von Einstellungen für die Pinsel-Parameter mit dem so genannten Jitter (Abbildung 3.4) versehen. Das ist dosierter Zufall, der den Pinselstrich lebendiger macht.
Abbildung 3.4 Bei Parametern mit Jitter kann man gezielt den Zufall ins Spiel bringen, hier bei den Farbeinstellungen.
3.1.2 Handarbeit: Maus, Shortcuts und Tablett 

Nirgends sonst in Photoshop werden die Probleme einer direkten Interaktion zwischen Mensch und Computer augenfälliger als bei den Werkzeugen, die Pinsel benutzen. Es gibt zunächst nur die Mausbewegung auf der Tischplatte (oder noch dürftiger: das Trackpad am Notebook). Die Bewegung kennt nur zwei Richtungen und die Geschwindigkeit. Diese begrenzte Interaktionsfähigkeit wird ein wenig durch Shortcuts wettgemacht, mit denen man bei der Verwendung der Pinsel einige wichtige Größen direkt verändern kann. Gut eingeübt erlauben sie wesentlich schnelleres Arbeiten. Eine Auswahl sei hier kurz aufgelistet.
Parameter | Shortcut |
Pinselgröße |
kleiner: |
Kantenschärfe |
größer: |
Deckkraft |
|
Fluss |
|
Modus (Normal, Multiplizieren usw.) |
nächster: |
Farbe aus dem Bild aufnehmen |
|
Gerade Linie zwischen zwei Punkten |
|
Fadenkreuz statt Pinselpitze |
Feststell-Taste |
Hält man sich vor Augen, dass beim Zeichnen mit der Maus ja ein großer Teil der Finger-Handgelenks-Motorik wegfällt, so wird klar, warum es so mühsam ist, auf diese Weise mit Photoshop-Pinseln zu arbeiten.
Abbildung 3.5 Einstellungen mit dem Zusatz Steuerung lassen sich für ein Zeichentablett freigeben.
Aus diesem Grund werden für Mal-, Zeichen- und Retuschearbeiten am Computer schon lange Grafik-Tabletts angeboten. Früher ist es nur um das Gefühl gegangen, statt der Maus einen Stift in der Hand zu halten und den Vorteil der gewohnten Motorik auch bei der grafischen Arbeit am Computer zu nutzen. Mittlerweile sind Stifte und Tabletts hoch sensible Interfaces geworden, die auf Druck, Neigung und Drehung des Stiftes reagieren und über Tasten am Stift Shortcuts ausführen können. Sie haben sogar am anderen Ende einen Radiergummi wie ein Schulbleistift. Der verhält sich auch genau so und schaltet sofort auf Photoshops Radiergummi-Werkzeug um, wenn man ihn umdreht. Auch die Unterstützung in Photoshop für die Grafik-Tabletts ist sehr umfangreich. Viele Größen bei der Arbeit mit den Pinseln lassen sich einem der verschiedenen Ausgabewerte des Tabletts zuweisen, wobei sich auch die Stärke der Wirkung einstellen lässt.
Abbildung 3.6 Grafik-Tablett und Kombination aus Tablett und Flachbildschirm
Viele, die einmal ein solches Gerät bei der Retusche oder bei malerischen Arbeiten ausprobiert haben, geben es nur ungern wieder her. Hiermit sind wirklich zeichnerisch gute, schwungvolle und natürliche Striche möglich, auch weil man ein Tablett auf dem Tisch drehen kann. Allein wenn man die Parameter Deckkraft und Durchmesser mit dem Druck des Stiftes steuert, kommen bereits sehr ausdrucksvolle Striche dabei heraus. Manche Stifte haben zusätzlich noch ein Rollrad, mit dem man weitere Werte steuern kann. Speziell beim Maskieren mit der Hand, wo für die Abdeckung von groben und feinen Details dauerndes Wechseln des Pinseldurchmessers nötig ist, bringt die Möglichkeit, dies über den Druck des Stiftes oder über ein Rollrad zu tun, eine sehr große Arbeitserleichtung und Zeitersparnis mit sich. Dass einige Tabletts am Rand über frei definierbare Tasten sowie Bildlauf- und Zoom-Steifen verfügen, führt dazu, dass manche Grafiker bei ihrer Arbeit stundenlang weder Tastatur noch Maus in die Hand nehmen müssen.
Marktführer ist in diesem Bereich die Firma Wacom (http://www.wacom.de), die u. a. Geräte in Größen zwischen DIN A5 (kleiner sollte es nicht sein) und DIN A3 anbietet (270 bis 900 Euro). Der ultimative Luxus in dieser Hinsicht ist eine Art »Zeichenblock des 21. Jahrhunderts«, eine Kombination von Grafik-Tablett und Flachbildschirm. Hier hat man ein Zusammenspiel von Hand und Auge wie auf Papier. So etwas hat allerdings seinen Preis: Für den 15-Zoll-Bildschirm muss man etwa 1750 Euro auf den Tisch legen, bei 17 Zoll etwa 2250 und bei 21 Zoll um die 2900 Euro.
Schritt für Schritt: Eigenen Pinsel herstellen
Man kann sehr einfach selbst Werkzeugspitzen herstellen. Wir wollen hier einen Pinsel haben, mit dem man mit einem Klick einen Lichtreflex als Glanzpunkt in ein Bild setzen kann.
Daten auf der DVD Sie finden die Datei zu diesem Workshop auf der Buch-DVD unter Workshops/03_Retusche/03_Eigener_Pinsel.psd. |
Bild für Pinselspitze erstellen
Zunächst braucht man eine neue Datei (etwa 500x500 Pixel). Mit einem Hilfslinienkreuz markiert man die Mitte und zieht von dort eine runde Auswahl auf (weiche Kante mit 25 Pixel).
Abbildung 3.7 Neue Datei zur Erzeugung einer Pinselspitze
Unter Filter · Rendering-Filter · Blendenflecke finden wir eine Möglichkeit, Linseneffekte mit Schein und Strahlen zu generieren. Diese sind hell auf schwarzem Hintergrund und müssen nun mit /
+
oder Bild · Anpassen · Umkehren invertiert werden. Eine Tonwertkorrektur (
/
+
oder Bild · Anpassen · Tonwertkorrektur, siehe Seite 140) sorgt für einen rein weißen Hintergrund und bessere Konturen im Zentrum.
Pinselspitze definieren
Abbildung 3.8 Blendenfleck nach Umkehrung und Tonwertkorrektur
Mit Auswahl · Alles Auswählen oder /
+
wird das ganze Bild ausgewählt. Unter Bearbeiten · Pinselvorgabe festlegen kann man nun die neue Pinselspitze benennen und abspeichern. Dabei wird ein RGB-Bild automatisch in das nötige Graustufenbild konvertiert. Ab sofort steht die neue Spitze in der Pinsel-Palette zur Verfügung. Unter Pinselvorgaben findet man neue Spitzen in der Regel am Schluss.
Anwendung
Abbildung 3.9 Die neue Pinselspitze wird abgespeichert und findet sich nun in der Pinsel-Palette.
Mit der neuen Pinselspitze reicht nun jeweils ein Mausklick an die Stellen, wo man einen Lichtreflex haben will. Sinnvoll ist es natürlich, zur Akzentuierung immer wieder den Pinseldurchmesser zu verändern.
Abbildung 3.10 Die Lichtreflexe werden mit einem Mausklick angebracht.
Eine schöne Anwendung selbst hergestellter Pinselspitzen sind typografische Collagen. Hier schreibt man einfach etwas in eine Graustufendatei (Abbildung 3.11), markiert alles mit /
+
und definiert es mit Bearbeiten · Pinselvorgabe festlegen als Werkzeugspitze. In der Pinsel-Palette findet man sie dann mit Angabe ihrer Originalgröße unter den Vorgaben und . Unter Pinselform sollte der Malabstand recht groß gewählt werden. Unter Andere Einstellungen sollte man für Deckkraft und Fluss unter Steuerung Verblassen wählen und diese eher niedrig einstellen (Abbildung 3.12).
Abbildung 3.11 Graustufenbilder für die Pinsel
Abbildung 3.12 Verblassen von Fluss und Deckkraft bei Andere Einstellungen
Abbildung 3.13 Einstellungen für »Schriftpinsel«
Natürlich kann man die Vielfalt und Lebendigkeit noch massiv ausbauen, wenn man in der Optionen-Leiste des Pinsel-Werkzeugs noch mit dem Modus spielt (Multiplizieren, Überlagern usw., zu den Modi siehe Seite 270).
Abbildung 3.14 Typografie-Collage nur mit Pinseln
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